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wie in seinen glücklichsten Tagen. »Du bist doch gut«, sagte Felix zu ihr, »du zankst nicht, du
schlägst mich nicht, ich will dir's nur sagen, ich habe aus der Flasche getrunken! Mutter Aurelie
schlug mich immer auf die Finger, wenn ich nach der Karaffine griff; der Vater sah so bös aus, ich
dachte, er würde mich schlagen.«
Mit beflügelten Schritten eilte Natalie zu dem Schlosse; Wilhelm kam ihr, noch voller Sorgen,
entgegen. »Glücklicher Vater!« rief sie laut, indem sie das Kind aufhob und es ihm in die Arme warf,
»da hast du deinen Sohn! Er hat aus der Flasche getrunken, seine Unart hat ihn gerettet.«
Man erzählte den glücklichen Ausgang dem Grafen, der aber nur mit lächelnder, stiller, bescheidner
Gewißheit zuhörte, mit der man den Irrtum guter Menschen ertragen mag. Jarno, aufmerksam auf
alles, konnte diesmal eine solche hohe Selbstgenügsamkeit nicht erklären, bis er endlich nach
manchen Umschweifen erfuhr: der Graf sei überzeugt, das Kind habe wirklich Gift genommen, er
habe es aber durch sein Gebet und durch das Auflegen seiner Hände wunderbar am Leben
erhalten. Nun beschloß er auch sogleich wegzugehn; gepackt war bei ihm alles wie gewöhnlich in
einem Augenblicke, und beim Abschiede faßte die schöne Gräfin Wilhelms Hand, ehe sie noch die
Hand der Schwester losließ, drückte alle vier Hände zusammen, kehrte sich schnell um und stieg in
den Wagen.
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Soviel schreckliche und wunderbare Begebenheiten, die sich eine über die andere drängten, zu
einer ungewohnten Lebensart nötigten und alles in Unordnung und Verwirrung setzten, hatten eine
Art von fieberhafter Schwingung in das Haus gebracht. Die Stunden des Schlafens und Wachens,
des Essens, Trinkens und geselligen Zusammenseins waren verrückt und umgekehrt. Außer
Theresen war niemand in seinem Gleise geblieben; die Männer suchten durch geistige Getränke ihre
gute Laune wiederherzustellen, und indem sie sich eine künstliche Stimmung gaben, entfernten sie
die natürliche, die allein uns wahre Heiterkeit und Tätigkeit gewährt.
Wilhelm war durch die heftigsten Leidenschaften bewegt und zerrüttet, die unvermuteten und
schreckhaften Anfälle hatten sein Innerstes ganz aus aller Fassung gebracht, einer Leidenschaft zu
widerstehn, die sich des Herzens so gewaltsam bemächtigt hatte. Felix war ihm wiedergegeben,
und doch schien ihm alles zu fehlen; die Briefe von Wernern mit den Anweisungen waren da, ihm
mangelte nichts zu seiner Reise als der Mut, sich zu entfernen. Alles drängte ihn zu dieser Reise.
Er konnte vermuten, daß Lothario und Therese nur auf seine Entfernung warteten, um sich trauen
zu lassen. Jarno war wider seine Gewohnheit still, und man hätte beinahe sagen können, er habe
etwas von seiner gewöhnlichen Heiterkeit verloren. Glücklicherweise half der Arzt unserm Freunde
einigermaßen aus der Verlegenheit, indem er ihn für krank erklärte und ihm Arznei gab.
Die Gesellschaft kam immer abends zusammen, und Friedrich, der ausgelassene Mensch, der
gewöhnlich mehr Wein als billig trank, bemächtigte sich des Gesprächs und brachte nach seiner Art
mit hundert Zitaten und eulenspiegelhaften Anspielungen die Gesellschaft zum Lachen und setzte
sie auch nicht selten in Verlegenheit, indem er laut zu denken sich erlaubte.
An die Krankheit seines Freundes schien er gar nicht zu glauben. Einst, als sie alle beisammen
waren, rief er aus: »Wie nennt Ihr das Übel, Doktor, das unsern Freund angefallen hat? Paßt hier
keiner von den dreitausend Namen, mit denen Ihr Eure Unwissenheit ausputzt? An ähnlichen
Beispielen wenigstens hat es nicht gefehlt. Es kommt«, fuhr er mit einem emphatischen Tone fort,
»ein solcher Kasus in der ägyptischen oder babylonischen Geschichte vor.«
Die Gesellschaft sah einander an und lächelte.
»Wie hieß der König?« rief er aus und hielt einen Augenblick inne. »Wenn ihr mir nicht einhelfen
wollt«, fuhr er fort, »so werde ich mir selbst zu helfen wissen.« Er riß die Türflügel auf und wies nach
dem großen Bilde im Vorsaal. »Wie heißt der Ziegenbart mit der Krone dort, der sich am Fuße des
Bettes um seinen kranken Sohn abhärmt? Wie heißt die Schöne, die hereintritt und in ihren sittsamen
Schelmenaugen Gift und Gegengift zugleich führt? Wie heißt der Pfuscher von Arzt, dem erst in
diesem Augenblicke ein Licht aufgeht, der das erste Mal in seinem Leben Gelegenheit findet, ein
vernünftiges Rezept zu verordnen, eine Arznei zu reichen, die aus dem Grunde kuriert und die
ebenso wohlschmeckend als heilsam ist?«
In diesem Tone fuhr er fort zu schwadronieren. Die Gesellschaft nahm sich so gut als möglich
zusammen und verbarg ihre Verlegenheit hinter einem gezwungenen Lächeln. Eine leichte Röte
überzog Nataliens Wangen und verriet die Bewegungen ihres Herzens. Glücklicherweise ging sie mit
Jarno auf und nieder; als sie an die Türe kam, schritt sie mit einer klugen Bewegung hinaus,
einigemal in dem Vorsaale hin und wider und ging sodann auf ihr Zimmer.
Die Gesellschaft war still. Friedrich fing an zu tanzen und zu singen:
Oh, ihr werdet Wunder sehn!
Was geschehn ist, ist geschehn,
Was gesagt ist, ist gesagt.
Eh es tagt,
Sollt ihr Wunder sehn.
Therese war Natalien nachgegangen, Friedrich zog den Arzt vor das große Gemälde, hielt eine
lächerliche Lobrede auf die Medizin und schlich davon.
Lothario hatte bisher in einer Fenstervertiefung gestanden und sah, ohne sich zu rühren, in den
Garten hinunter. Wilhelm war in der schrecklichsten Lage. Selbst da er sich nun mit seinem
Freunde allein sah, blieb er eine Zeitlang still; er überlief mit flüchtigem Blick seine Geschichte und
sah zuletzt mit Schaudern auf seinen gegenwärtigen Zustand; endlich sprang er auf und rief: »Bin
ich schuld an dem, was vorgeht, an dem, was mir und Ihnen begegnet, so strafen Sie mich! Zu
meinen übrigen Leiden entziehen Sie mir Ihre Freundschaft, und lassen Sie mich ohne Trost in die
weite Welt hinausgehen, in der ich mich lange hätte verlieren sollen. Sehen Sie aber in mir das
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